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Völkerfrühling und Krimkrieg (1848-1856)

Bis 1789 war die Expansion an den drei Binnenmeeren das außenpolitische Hauptziel Russlands gewesen. Nach Beginn der Französischen Revolution hatte sich die Bekämpfung nationaler, liberaler und sozialistischer Ideen dazugesellt. Preußen und Österreich bildeten dabei jene Pufferzon, welche die russische Bevölkerung gegen diese westlichen Vorstellungen abschirmte.

Die Revolution von 1848

Virulent wurde die von Westeuropa ausgehende Gefahr für St. Petersburg Anfang 1848. In Paris wurde neuerlich die Republik ausgerufen. Die Revolution griff auf Deutschland, Italien und Ungarn über. Da sie damit auch Preußen und Österreich erfasste, drohte das konservative Glacis Russlands wegzubrechen. An ihrer statt konnten sich, so die Befürchtung, ein großdeutscher sowie ungarischer Nationalstaat etablieren. Beide würden sich an Frankreich anlehnen und die russische Stellung in Polen bedrohen. Zur Intervention in der benötigten Dimension nicht fähig, setzte Russland auf die diplomatische Unterstützung der Habsburger und Hohenzollern. Berlin schien  in der Lage zu sein, statt der liberalen großdeutschen Lösung eine konservative kleindeutsche durchzusetzen. Dadurch wäre Mitteleuropa als russlandfreundliches Glacis erhalten geblieben.

Preußen zeigte sich den russischen Erwartungen indessen als nicht gewachsen. Es geriet in den Sog der großdeutschen Nationalbewegung und wurde zunehmend zu deren militärischem Exekutor. So forderten die deutschen Nationalliberalen die Integration aller deutschsprachigen Gebiete in den zu schaffenden Nationalstaat. Dies schloss auch Territorien mit ein, die nicht zum Deutschen Bund gehört hatten. Vollzog sich die Integration beider Preußen und von Posen noch friedlich, gebrauchte man beim Anschluss Schleswigs Gewalt. St. Petersburg fürchtete nun das deutsch-preußische Festsetzen an den Ostseeausgängen sowie das Ausgreifen nach Kurland und Livland. Daher ließ Russland die Idee einer kleindeutschen Lösung fallen und bereitete sich darauf vor, Preußen militärisch wieder in das eigene Fahrwasser zu ziehen.

Die russische Intervention

Währenddessen hatte sich Österreich nicht in der Lage gezeigt, Ungarn niederzuwerfen. Keinen ungarischen Nationalstaat duldend, griff der Zarismus hier 1849 mit 360.000 Mann durch: Die magyarische Rebellion wurde im Keim erstickt. Etwa zeitgleich rückten zaristische Truppen auch in die Moldau ein, wo sie eine von den dortigen Bojaren getragene Revolte niederschlugen.

In Preußen war es den Hohenzollern unterdessen gelungen, die Nationalliberalen auszubooten und die konservative Ordnung wiederherzustellen. Für Russland problematisch erwies sich aber der seit Ende 1849 unternommene Versuch Berlins, eine kleindeutsche Union durchzudrücken. St. Petersburg sah nämlich zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, die Ordnung von 1815 wiederherzustellen. Es war daher nicht mehr gewillt, die kleindeutsche Lösung zu akzeptieren. Gemeinsam mit dem wiederstabilisierten Österreich zwang Russland Preußen 1850 in der Konvention von Olmütz zur Aufgabe seiner Unionspläne. Danach brachte es auch habsburgische Pläne, ganz Österreich in den Deutschen Bund zu integrieren und so ein „70-Millionen-Reich“ zu schaffen, zu Fall. Auf diese Weise war nicht nur das konservative Glacis in Mitteleuropa erhalten worden, sondern auch das dortige für das Zarenreich so günstige Kräfteverhältnis zwischen Berlin und Wien. Dieses sicherte ihm eine Schiedsrichterrolle in deutschen Angelegenheiten.

Aufteilung der Türkei?

Zeitgleich betrachtete St. Petersburg das scheinbar unaufhaltsame Zerbröseln der Türkei mit Sorge. Es stellte die 1840 erreichte Stabilität an den Meerengen wieder in Frage. Es bestand die Gefahr, dass das Osmanische Reich in eine für den russischen Getreideexport nach West- und Südeuropa gefährliche Anarchie abrutschen konnte. Oder aber eine konkurrierende Großmacht, gedacht wurde vor allem an Frankreich, würde sich dort festsetzen.

Um beides zu verhindern, schlug der Zar Österreich und Großbritannien die gütliche Aufteilung der Türkei vor. Russland sollte sein Protektorat über die Donaufürstentümer auf Bulgarien ausdehnen können. Österreich würde Serbien und Bosnien-Herzegowina erhalten, Großbritannien hingegen Kreta und Ägypten. Konstantinopel wäre der gemeinsamen Kontrolle unterstellt worden. Von Seiten Wiens schien keine Gefahr auszugehen. Es durch die zaristischen Interventionen gegen Ungarn und Preußen in eine gewisse Abhängigkeit zu Russland geraten und würde sich in der Orientalischen Frage kaum gegen dieses wenden. Die britische Regierung hingegen lehnte die Offerten Nikolaus I. ab, denn sie glaubte an die Reformierbarkeit des Osmanischen Reiches. Auch wollte sie verhindern, dass durch dessen Zerschlagung freiwerdende russische Kräfte über Persien einen Angriff auf Indien vortrugen.

Tatsächlich wollte Großbritannien das Osmanische Reich unbedingt in seinen damaligen Grenzen erhalten und das Festsetzen Russlands an der Levante aus wirtschaftlichen und geostrategischen Gründen verhindern. So verliefen die kürzesten See- und Landverbindungen Großbritanniens nach Indien über das östliche Mittelmeer und den Vorderen Orient. Solange deren Gestade von einer schwachen Macht wie der Türkei beherrscht wurden, war ein problemloser Warenverkehr zwischen dem britischen Mutterland und seinem „Juwel des Empire“ garantiert. Zugleich war das Osmanische Reich für die Briten 1853 ein sehr wichtiger Handelspartner. Nicht nur konnte Großbritannien dort ungehindert im großen Rahmen seine Fertigwaren absetzen. Es bezog aus der Türkei auch große Mengen an Rohstoffen und Getreide. 

Der Krimkrieg beginnt

Nachdem sich die Aufteilung der Türkei als nicht durchführbar erwiesen hatte, strebte Russland den entscheidenden Einfluss auf deren Innen- und Außenpolitik an. Unterstützt wurde der Zarismus dabei von der russischen Öffentlichkeit, die seit den 1830er Jahren aus religiösen Gründen Interesse am Osmanischen Reich zeigte. Die Balkanchristen, Konstantinopel und die Heiligen Stätten in Palästina sollten befreit werden. Als es an letzteren seit 1850 mit den Katholiken zu Streitigkeiten um die Nutzungsrechte kam, intervenierte der Zar im Frühjahr 1853 erfolgreich zugunsten der orthodoxen Christen.

Damit nicht genug, verlangte Nikolaus I. nun politische Zugeständnisse von der Pforte: Einerseits sollte die 1774 in Kücuk Kaynarca gewährte russische Schutzherrschaft über die orthodoxen Christen des Osmanischen Reiches ausgebaut werden. Russland hätte sich dadurch in dessen Verwaltung einmischen können. Zum anderen sollte die Türkei in einen dem Abkommen von Unkar Skelessi ähnlichen Vertrag einwilligen. Das Osmanische Reich wäre so faktisch in ein russisches Protektorat umgewandelt worden. Zur Untermauerung der Forderungen besetzten zaristische Truppen die Donaufürstentümer. Konstantinopel erklärte St. Petersburg daraufhin den Krieg.

Dieser wurde schon im Ende 1853 durch den russischen Triumph in der Seeschlacht vor Sinope entschieden. Dieser rief nun Frankreich und Großbritannien auf den Plan. Beide Länder ließen ihre Mittelmeerflotten in das Schwarze Meer einlaufen.

Der Rückzug aus den Donaufürstentümern

Währenddessen rechnete man in der in den Donaufürstentümern stehenden russischen Armee damit, dass sich die Balkanvölker erheben und die Eroberung der Festungen Varna, Schumen und Silistria erleichtern würden. Diese war nötig, um einen sicheren Angriff auf Konstantinopel führen und dem Osmanischen Reich in Europa den Todesstoß versetzen zu können. Allerdings konnte weder eine Landverbindung zu Serbien über Vidin hergestellt werden noch erhoben sich die Bulgaren. Eine Revolte der Griechen des Epirus´, Thessaliens und Makedoniens wurde durch osmanische und französische Truppen niedergeworfen. Auch landeten britisch-französische Einheiten Anfang 1854 bei Varna und bedrohten die Silistria belagernden russischen Einheiten.

Da die Kämpfe an der Donau im Unentschieden zu versacken drohten, wurde die Haltung Österreichs entscheidend: Es konnte über Siebenbürgen in die Donaufürstentümer einfallen und dort die russischen Nachschublinien bedrohen. Wien hatte sich bis dato aber Russland gegenüber wohlwollend gezeigt und 1853 der Pforte zur Annahme der an sie gerichteten zaristischen Forderungen geraten. So war Nikolaus I. den Habsburgern entgegengekommen und hatte ihnen im Falle ihrer weiteren Neutralität das gemeinsame Protektorat über die Balkanvölker angeboten. Als Russland indessen die Revolutionierung der letzteren betrieb, befürchtete die Donaumonarchie erneute Aufstände der Ungarn, Tschechen und Italiener. Daher bekannte sie sich zur territorialen Integrität des Osmanischen Reiches und wandte sich gegen die russische Präsenz in den Donaufürstentümern. St. Petersburg sollte die österreichische Vermittlung zur Beendigung des Krieges annehmen.

Die Belagerung von Sewastopol

Da es fürchtete, Preußen könnte sich Österreich anschließen, brach Russland im August 1854 die Belagerung von Silistria ab und zog sein Heer aus der Moldau und Walachei zurück. Damit verhinderte es den gegen sich gerichteten Kriegseintritt Österreichs. Nach dem Rückzug von der Donau stellte sich das Zarenreich auf britisch-französische Angriffe am Schwarzen Meer und in der Ostsee ein. Tatsächlich planten die Westmächte, die Flottenbasen Sewastopol und Kronstadt zu zerstören. Auch wollten sie den Krieg solange fortsetzen, bis Russland dauerhaft geschwächt sei. Nur dadurch, so die Rechnung, hätte das Osmanische Reich gegenüber St. Petersburg dauerhaft stabilisiert werden können. Dazu sollten die Donaufürstentümer und Serbien aus dem russischen Einfluss herausgelöst und dem Zaren die Donaumündung genommen werden. Die Krim und Georgien würden an die Türkei fallen. Daher entschieden sich Briten und Franzosen im September 1854 für den Angriff auf Sewastopol. Es wurde nach knapp einem Jahr Belagerung eingenommen.

Nach dem Fall von Sewastopol verschlechterte sich die außenpolitische Lage Russlands zusehends. Im November 1855 näherten sich Österreich und Schweden den Alliierten an und schlossen ihren Kriegseintritt auf deren Seite nicht mehr aus. Dies erlaubte es den britischen und französischen Strategen, den Krieg für 1856 auf Georgien und die Ostsee auszuweiten: Tatsächlich vermochte es die zaristische Diplomatie nicht, Dänemark und Schweden zur Schließung des Sundes zu veranlassen. Stockholm öffnete seine Häfen gar der britischen Marine, wodurch ein Angriff auf Kronstadt möglich wurde. Auch konzentrierte Russland in der Erwartung eines baldigen Kriegseintritts Preußens und Österreichs starke Truppen in Polen. Die weiträumige Zurückdrängung des Zarenreiches schien nun möglich: Nach dem Wunsche Londons sollte Polen die Unabhängigkeit erhalten, Finnland an Schweden fallen. Die baltischen Provinzen hingegen an Preußen und die Donaufürstentümer an Österreich.

Der Frieden von Paris 1856

Allerdings konnten sich das Vereinigte Königreich und das französische Empire nicht darüber verständigen, wo sie zuerst ansetzen wollten. Während London die Operation an der Ostsee vorzog, setzte sich Paris für diejenige über Preußen nach Polen ein. Als eine Lösung ausblieb und in Frankreich die Kriegsmüdigkeit zunahm, schwenkte Napoleon III. auf Friedenskurs um. Ebenso ließen sich die beiden deutschen Großmächte nicht für ein gegen Russland gerichtetes Bündnis gewinnen. Sie befürchteten, die Hauptlast des Kampfes tragen zu müssen und im Falle eines Feldzuges gegen Polen die eigenen Teilungsgebiete zu verlieren. Daher neigte sich auch Großbritannien dem Frieden zu.

Dieser wurde 1856 in Paris unterzeichnet. Russland wurde verboten, im Schwarzen Meer eine Kriegsmarine zu unterhalten. Ebenso verlor es den Zugang zur nun internationalisierten Donau. Die Moldau, Walachei und Serbien wurden aus der russischen Vorherrschaft gelöst und wie die osmanischen Christen dem gemeinsamen Protektorat aller europäischen Großmächte unterstellt. Auch mussten die Alandinseln entfestigt werden. Aufgrund ausgebliebener militärischer Unternehmen konnten die Westmächte Russland keine weiteren Zugeständnisse abverlangen. Damit blieb die Gefährdung des Osmanischen Reiches durch das Zarentum partiell erhalten.

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