Die Außenpolitik Pauls I.
Die Kriegsanstrengungen Katahrinas II. hatten den russischen Staat finanziell und militärisch stark belastet. Ihr Sohn und Nachfolger Paul I. wähnte ihn daher vor dem Zusammenbruch. Um ihn abzuwenden beendete er sowohl das persische wie französische Engagement seiner Mutter. Der in Westeuropa tobende Krieg gegen das revolutionäre Frankreich ließ sich allerding nicht so einfach beilegen: Die Franzosen eilten von Sieg zu Sieg und bedrohten damit das Gleichgewicht der Mächte in Europa. Daher zog Paul I. doch noch in den Krieg gegen die Republik. Sein Ziel war indessen nicht eine erneute Machtausweitung Russlands, sondern lediglich die Restauration der Machtverhältnisse von vor der Französischen Revolution von 1789.
Die 1799 zu diesem Zwecke abgeschlossene Koalition mit Österreich und Großbritannien stand indessen unter keinem guten Stern. Mit Wien zerstritt sich St. Petersburg über die Italienische Frage. Mit London überwarf es sich wegen Malta. Dieses hatte Paul I. zu einer russischen Flottenbasis ausbauen wollen. So kam es, dass sich Russland trotz militärischer Erfolge aus der Allianz zurückzog. Ab Herbst 1800 näherte es sich Frankreich an. Um den gegen Paris gerichteten britischen Kaperkrieg einzudämmen, förderte der Zar eine „Liga der bewaffneten Neutralität“ der Ostseeanraine. Auch plante Paul I. einen Angriff auf Britisch-Indien. Ein gegen Großbritannien verhängtes Embargo erwies sich indessen als Bumerang, da es in erster Linie dem russischen Handel schadete.
Im Schatten Napoleons
Da seine antibritische Politik den Außenhandelsinteressen Russlands zuwiderlief, wurde Paul I. im März 1801 ermordet. Sein Nachfolger Alexander I. setzte auf die Aussöhnung mit Großbritannien. 1805 schloss er mit London ein Bündnis gegen Frankreich, dem sich auch Österreich und im Folgejahr Preußen anschlossen. Der nachfolgende Krieg endete aber mit der vernichtenden Niederlage der Verbündeten. Russlands Vorfeldsystem im Ostseeraum wurde tief erschüttert. So sank Preußen als Garantiemacht der Ordnung von 1795 zu einem französischen Vasallen herab. Es verlor im Tilsiter Frieden von 1807 das Gros seiner polnischen Teilungsgebiete. Auf diesen entstand nun das mit Napoleon verbundene Herzogtum Warschau. Der französische Kaiser wollte dessen Erweiterung bis zu den Grenzen von 1772 nicht ausschließen.
Aufgrund des verlorenen Krieges konnte Russland nicht gegen den neuen polnischen Staat vorgehen. Zudem musste es der gegen den Haupthandelspartner Großbritannien gerichteten französischen Kontinentalsperre beitreten. Für die dadurch eintretenden wirtschaftlichen Verluste konnte Frankreich dem Zarenreich keinen Ersatz leisten. So versuchte Napoleon, es durch politische Kompensationen bei der Stange zu halten. Frankreich duldete, dass St. Petersburg an den drei Binnenmeeren eine begrenzte Expansion aufnahm. So sah sich Russland zwischenzeitlich in gleichzeitige Kriege mit Schweden, dem Osmanischen Reich und Persien verstrickt.
Das Kaspische Meer
Den Anfang machte Alexander I. am Kaspischen Meer. 1804 brach er einen Krieg gegen Persien vom Zaum. Teheran wurde britische wie auch französische Hilfe verweigert. Daher musste es 1813 Aserbaidschan, Dagestan, Georgien und Karabach an Russland abtreten. Zudem billigte Persien ihm das alleinige Recht zu, auf dem Kaspischen Meer eine Kriegsflotte zu unterhalten. Mit Blick auf britische und französische Interessen sagte Russland aber zu, sich nicht in innerpersische Angelegenheiten einzumischen.
Das Schwarze Meer
Aufgrund der französischen Hegemonie auf dem europäischen Kontinent war die Eroberung Konstantinopels illusorisch geworden. Um dennoch in das östliche Mittelmeer zu gelangen, wollte Russland über die Donaufürstentümer, Serbien und Montenegro einen Korridor nach den 1800 erworbenen Ionischen Inseln legen. Als die Pforte dem 1806 durch die Absetzung der prorussischen Fürsten der Moldau und Walachei in die Quere kam, entzündete sich ein weiterer Krieg mit der Türkei.
Im Frühjahr 1807 drang die russische Ostseeflotte in das östliche Mittelmeer ein und schlug die türkische Marine am Berg Athos vernichtend. Da Russland bald danach im Tilsiter Frieden die Ionischen Inseln an Frankreich abtreten musste, konnte dieser Triumph nicht ausgenutzt werden. Aber schon 1808 stellte Napoleon dem Zaren die Aufteilung des europäischen Teils des Osmanischen Reiches in Aussicht. So nahm dieser den Kampf gegen den Sultan wieder auf. Bis Ende 1810 konnte das russische Heer die untere Donau überschreiten und die Festungen Ismail, Braila, Silistra und Russe erobern.
Die Ostsee
Am Baltischen Meer hatte Russland gemäß dem Tilsiter Frieden Schweden zum Beitritt zur Kontinentalsperre aufgefordert. Dem hatte sich das Land aber aufgrund seiner intensiven Handelsbeziehungen zu Großbritannien verweigert. Als es dann auch noch der Royal Navy den Sund öffnete und diese so zum Angriff auf St. Petersburg in der Lage war, eskalierte der Konflikt zum Krieg. Dieser verlief für das Zarenreich glücklich. 1808 konnten Finnland und die Aland-Inseln erobert und mit Billigung Napoleons annektiert werden.
Napoleons Sturz
Der russischen Machtelite war aber bewusst, dass durch die Partnerschaft mit Frankreich keines der finalen Ziele an den drei Binnenmeeren würde erreicht werden können. Dazu kam, dass die Kontinentalsperre die Entwicklung der russischen Wirtschaft massiv behinderte. Daher schied das Zarenreich Ende 1810 aus ihr aus. Einen Krieg mit Frankreich fürchtend, bemühte sich Russland nun um den Frieden mit der Türkei. Der im Mai 1812 unterzeichnete Vertrag von Bukarest sah dann die Abtretung der östlichen Moldau an St. Petersburg vor. Dadurch erhielt es Zugang zum Donaudelta. Auch erhielt das mit dem Zarenreich verbundene Serbien innerhalb des Osmanischen Reiches Autonomie.
Napoleon konnte das Ausscheren Russlands aus seinem Orbit nicht hinnehmen, sein im Juni 1812 begonnener Feldzug gegen das Zarenreich endete aber katastrophal. Die Machtverhältnisse an der Ostsee gerieten wieder in Bewegung: Anfang 1813 konnten russische Truppen das Herzogtum Warschau besetzen. Preußen wurde von St. Petersburg als Juniorpartner gewonnen. Dem folgte die Erneuerung des Bündnisses mit Österreich und Großbritannien. Im Frühjahr 1814 wurde Napoleon gestürzt.
Der Wiener Kongress
Der Wiener Kongress erkannte die Besitzergreifung Finnlands und der Alandinseln durch das Russische Reich an. Ebenso die Inkorporierung des Großteils des Herzogtums Warschau. Russland hielt dadurch das unmittelbare Vorfeld seiner Hauptstadt wie auch die Masse der ehemaligen Adelsrepublik in seinen Händen. Zudem wünschte Russland die Annexion von Posen und Galizien. Durch deren Besitz wäre es St. Petersburg möglich gewesen, massiven militärischen Druck auf Preußen und Österreich auszuüben. Dadurch wären beide Mächte gezwungen gewesen, dem Zarenreich gegenüber Wohlverhalten zu zeigen. Allerdings brachte Wien diese Pläne mit Unterstützung Londons zu Fall. Daher bemühte sich der Zar im Rahmen der Heiligen Allianz um eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Habsburgern und Hohenzollern. Diese zielte auf die Aufrechterhaltung der polnischen Teilung sowie die monarchische Restauration in Mitteleuropa.
Nach der Stabilisierung im Norden wandte sich das Zarenreich erneut dem schwächelnden Osmanischen Reich zu. Es sollte durch die Revolutionierung der Balkanvölker aus Europa vertrieben, sein asiatischer Teil in ein russisches Protektorat umgewandelt werden. Da dabei mit dem Widerstand Großbritanniens und Frankreichs zu rechnen war, musste die ablehnende Haltung Österreichs revidiert werden. Um dies zu erreichen, unterminierte Russland durch Unterstützung der deutschen und italienischen Nationalbewegung die Stellung der Donaumonarchie in Deutschland und Italien. Damit gefährdete sie zugleich deren Großmachtstatus und machte sich als sicherheitspolitischer Partner unentbehrlich.
Der griechische Unabhängigkeitskrieg
Der latente Interessensgegensatz zwischen Russland einerseits und Frankreich, Österreich und Großbritannien andererseits wurde durch den 1821 begonnenen Griechischen Aufstand virulent. Alexander I. drohte mit seinem Eingreifen zugunsten der Rebellen. Um einen europäischen Krieg zu vermeiden, stimmte er aber schließlich einer Vermittlung Londons zu. Hierbei trafen sich die russischen und britischen Vorstellungen, welche beide den Griechen nur eine Autonomie innerhalb der Türkei zubilligten. Mit Frankreich wiederum verständigten sich die beiden Mächte darauf, gegen das auf der Peloponnes im Namen des Sultans operierende ägyptische Heer vorzugehen. Im Oktober 1827 wurde die osmanisch-khedivische Flotte in der Bucht von Navarino vernichtet.
Der seit 1825 regierende Zar Nikolaus I. erhob gegenüber dem Osmanischen Reich nun aber über Griechenland hinausgehende Forderungen: So verlangte er den Rückzug der seit 1821 in den Donaufürstentümern lagernden türkischen Truppen sowie die Durchsetzung der bislang verschleppten serbischen Autonomie. 1826 gab die Pforte in der Konvention von Akkerman in beiden Punkten nach. Darüber hinaus. Erteilte sie Russland in den Angelegenheiten der Moldau und Walachei ein Vetorecht. St. Petersburg gab sich aber auch damit nicht zufrieden und forderte nun vom Sultan direkte Verhandlungen mit den Griechen. Als dieser ablehnte, erklärte ihm Russland im Frühjahr 1828 den Krieg. Die Situation für einen Feldzug war günstig, da die britische Regierung innenpolitisch gebunden war. Frankreich hingegen kooperierte mit dem Zarenreich, sofern es seine Ansprüche gegenüber dem Osmanischen Reich nicht überzog.
Der Türkenkrieg von 1828
Unmittelbar nach Kriegsbeginn besetzten russische Truppen die Donaufürstentümer, überquerten den gleichnamigen Strom und fielen in die Dobrudscha ein. Hier belagerten sie die Festungen Silistria, Schumen und Varna. Während Schumen nicht eingenommen werden konnte, fiel Varna im Oktober 1828, Silistria im Juli 1829. Nun stießen die Russen über das Balkangebirge bis Burgas und Adrianopel vor. Dort musste das Osmanische Reich in einen Friedensvertrag einwilligen. Dieser bestätigte die Konvention von Akkerman und übertrug Russland die Donaumündung. Dadurch kontrollierte das Zarenreich nun die Schifffahrt auf diesem Fluss. Auch wurde das russische Protektorat über die Moldau und Walachei festgeschrieben. Zudem erhielt Russland von der Pforte die Garantie des freien Schiffverkehrs durch die Meerengen. Griechenland schließlich wurde in ein der Türkei tributpflichtiges Fürstentum umgewandelt. 1830 bekam es die Unabhängigkeit verliehen.
Persien und der polnische Aufstand von 1830/31
Bereits 1826 hatte Persien den Versuch unternommen, dem Zarenreich Transkaukasien wieder zu entreißen. Von den Russen geschlagen, musste es schon 1828 in den Frieden von Turkmandschai einwilligen. Die 1813 erlittenen Gebietsverluste wurden bestätigt, dazu gingen Armenien und Nachitschewan an Russland verloren. Dieses verschaffte sich jetzt auch mehr Einfluss auf die persische Außen- wie Innenpolitik. Auch durften russische Händler von nun an im gesamten Reich Handel treiben und dort Landbesitz erwerben. Weitere Forderungen verboten sich aber im Hinblick auf Großbritannien.
Nach den Erfolgen über Persien und die Türkei geriet Russland allerdings schon 1830 im Ostseeraum unter Druck. Hier hatte sich der Zarismus seit dem Wiener Kongress darum bemüht, die polnische Nationalbewegung friedlich in sein Herrschaftssystem zu integrieren. Dies war aber gescheitert. Im November 1830 begann der Polnische Aufstand gegen die russische Vorherrschaft, der nach achtmonatigen schweren Kämpfen niedergeworfen wurde. Nun setzte Russland wieder auf die Unterdrückung Polens und erhielt von den beiden anderen Teilungsmächten Preußen und Österreich die Erlaubnis, polnische Umtriebe auch in Posen und Galizien zu unterdrücken.
Die Krise um Muhammad Ali
Der Polnische Aufstand hatte die Gefahren nationaler Leidenschaften aufgezeigt. Daher beendete Russland die Unterstützung der balkanischen Nationalbewegungen und setzte statt ihrer auf den Fortbestand des Osmanischen Reiches. Dessen schwacher Zustand garantierte, dass die Meerengen dem Zarenreich nicht verschlossen wurden. Darüber hinaus verbriefte eine kraftlose Türkei, dass die ihr abgerungenen Zugeständnisse weiter Bestand hatten. Auch konnten in der Zukunft weitere Konzessionen abgepresst werden. So reagierte St. Petersburg alarmiert, als Muhammad Ali von Ägypten nach dem Bosporus ausgriff. Mit ihm drohte sich hier eine starke Macht festzusetzen. Diese konnte Russland den Zugang zu den Meerengen versperren.
Über Syrien vorstoßend schlug der Khedive Ende 1832 das osmanische Heer bei Konya vernichtend und öffnete damit den Weg nach Konstantinopel. In höchster Not und von dem in innenpolitischen Problemen versunkenen Großbritannien verlassen nahm der Sultan ein russisches Hilfsangebot an. Nun schoben sich 10.000 zaristische Soldaten bei Hunkiar Skelessi zwischen Muhammad Ali und den Bosporus. Der Khedive wünschte nicht die Konfrontation mit einer europäischen Großmacht. Auch wurde er von Franzosen und Briten zum Einlenken gedrängt. Daher zog sich Muhammad Ali 1833 wieder aus Anatolien zurück.
Dennoch schloss die verängstigte Türkei im Nachgang der Krise in Hunkiar Skelessi mit Russland ein Bündnis. Dieses wandelte sie faktisch in ein zaristisches Protektorat um. Im Gegenzug räumten die russischen Truppen die seit 1828 besetzt gehaltenen Donaufürstentümer. Nun trug auch die russische Zersetzungsarbeit in Mitteleuropa ihre Früchte. Österreich näherte sich dem Zarenreich an und erklärte, für den Fall der Aufteilung des Osmanischen Reiches eng mit ihm zusammenzuarbeiten.
Das Meerengenabkommen von 1840
Großbritannien indessen wollte, um seinen Welthandel besorgt, den Sultan aus der Allianz mit dem Zaren wieder herauslösen. Die Möglichkeit dazu bot sich 1839, als Muhammad Ali erneut gegen die Pforte vorging, das osmanische Heer bei Nizib vernichtend schlug und die türkische Flotte zu ihm überlief. Nun hätte Russland zugunsten des Sultans intervenieren müssen. Es sah sich dazu aber weder finanziell noch militärisch in der Lage. Um die Festsetzung Muhammad Alis am Bosporus zu verhindern sah sich St. Petersburg daher gezwungen, die Zusammenarbeit mit London zu suchen. Der gemeinsam von Russland, Großbritannien und Österreich ausgeübte Druck zwang den Khediven und seine Schutzmacht Frankreich 1841 schließlich zum Einlenken. Muhammad Ali räumte Syrien, Kreta sowie die Arabische Halbinsel und gab die osmanische Flotte zurück. Im Gegenzug wurde seine Dynastie von den europäischen Großmächten als erbliches Herrschergeschlecht Ägyptens anerkannt.
Aufgrund der verweigerten Hilfestellung gegenüber der Pforte ließ sich die russische Vorherrschaft an den Meerengen nicht mehr aufrechthalten. An ihre Stelle trat ein gemeinsam mit Großbritannien, Frankreich und Österreich garantierter neuer Status quo, der die Türkei als schwachen Wächter des Bosporus´ und der Dardanellen fortexistieren ließ.
Der Mittlere Osten
Während sie im Falle der Türkei miteinander kooperiert hatten, prallten London und St. Petersburg um dieselbe Zeit in Persien aufeinander. Ausgangspunkt war der russische Versuch, das Land stärker wirtschaftlich zu durchdringen und es als Rammbock gegen die britischen Positionen in Indien zu nutzen. So unterstützte Russland den Schah bei seinem Feldzug gegen Herat, dem von den Briten große Bedeutung für einen Vorstoß nach Südasien beigemessen wurde. Die Perser brachen die Belagerung der afghanischen Stadt allerdings ab, als britische Kriegsschiffe in den Persischen Golf einfuhren. 1841 verglichen sich das Zarenreich und das Vereinigte Königreich dann. Die britischen Händler wurden den russischen gleichgestellt, politisch aber behielt Russland in Teheran den tonangebenden Einfluss.